Theaterprojekt „Wie viel mensch …?“

Die Evangelische Jugend veranstaltete gemeinsam mit der Schulsozialarbeit des Landkreises ein Theaterprojekt zum Jubiläum der Ereignisse im Herbst 1989. Am 22.Oktober 2014 wurde das Theaterstück „Wie viel mensch …?,“ geschrieben vom Arnoldianer Mathias Wienecke, in dem an die Geschehnisse der friedlichen Revolution in Gotha erinnert wird, in der Aula der Arnoldischule vor den Schüler- innen und Schülern der 10. Klassen aufgeführt. Der Schauspieler Martin Bertram aus der Nähe von Weimar reflektierte in dem Ein-Personen-Stück das emotionale Erleben vom Wahlbetrug, der Ausreisewelle, dem Denken und Wirken der neuen demokratischen Gruppierungen bis hin zu den Friedensgebeten, den Demonstra-
tionen und der Besetzung der Stasi-Zentrale.
Die jugendlichen Zuschauer erhielten so einen Eindruck vom Innenleben eines DDR-Bürgers, der sich 1989 engagierte für politische Reformen und der voller Träume und Hoffnungen für eine bessere Zeit war.
Aber das Projekt wollte keinesfalls nur eine Geschichtsstunde sein. Vielmehr ging es darum im anschließenden Gespräch mit Zeitzeugen zu ergründen, wo heute Engagement und Zivilcourage gefragt und gelebt werden kann. Wie viel Mut braucht es heute sich für Frieden und Gerechtigkeit stark zu machen? Das Theaterstück hat erfolgreich dieses Nachdenken angeregt und den Jugendlichen Mut gemacht zum Engagement für Toleranz und Demokratie. Dazu gab es im Zeitzeugengespräch viele interessante Fragen, Antworten und Diskussionsbeiträge.
Finanziert wurde das Projekt aus Mittel des Familienministeriums aus dem Programm Toleranz fördern und Kompetenz stärken.

Allgemeiner Anzeiger 10/2014


23.Okt.2014

Von Klaus-Dieter Simmen

Gotha. Zunächst ist da ein ratloser Mensch, ein Bruder, dessen Schwester von einer Westreise nicht mehr zurückkehrte. Das wirft Fragen auf für Micha, und um Antworten zu finden, schreibt er Briefe an die ferne, nahe Schwester. Zunächst sind sie anklagend, fragen nach dem Warum. Immerhin, sie habe doch gut verdient, eine Heimat gehabt, und dass die Aussicht auf eine eigene Wohnung mit ihrem Kind immer mehr schwand, konnte doch nicht wirklich ein Grund für diese Flucht gewesen sein. Später wandelt sich der Ton seiner Briefe, wenn Micha seiner Schwester von Veränderungen berichtet, vom Aufbruch in jenem Land, dem sie den Rücken kehrte. Der Gothaer Autor Mathias Wienecke hat das Theaterstück "wie viel mensch" geschrieben und lässt darin den Herbst 1989 in Gotha lebendig werden.

Seit dieser Woche touren der Autor und der Weimarer Schauspieler Martin Bertram mit dem Stück an Schulen im Kreis Gotha. Gestern Nachmittag war die Aufführung in der Aula des Arnoldigymnasiums zu erleben. Danach stellten sich die beiden mit der Gleichstellungsbeauftragten Katrin Luster und Schulleiter Clemens Festag als Zeitzeugen den Fragen der Mädchen und Jungen. Dabei bekannte Katrin Luster, dass die Rückschau auf die Ereignisse im Herbst 1989 auch für sie ungeheuer interessant ist. Er war gefährlich sich für Veränderungen in der DDR einzusetzen. Die junge Frau tat es damals wegen ihres Kindes. "Ich wollte verhindern, dass ich später zu Hause grade rücken muss, was im sozialistischen Schulalltag an schiefem Weltbild vermittelt wurde", begründet sie heute ihr Engagement. Schulleiter Festag erinnerte daran, dass in den Medien Berlin oder Leipzig im Fokus stehen, wenn es um die friedliche Revolution geht. "Doch auch hier in Gotha gab es mutige Menschen, die sich für Demokratie stark machten." Für ihn sei es die interessanteste Zeit seines Lebens gewesen. "Mit wenig Schlaf und viel Arbeit."

Das Stück, in dem Bertram den Micha differenziert und überzeugend darstellt, hat bei den jungen Menschen Eindruck hinterlassen. "Wir sollten dankbar sein für die Rechte, die damals die Menschen für uns erstritten haben", sagte eine Schülerin. Für Karl sind diese Tage Teil der deutschen Geschichte. Und er findet es gut, diese Zeit nicht nur aus den Erinnerungen seiner Oma zu kennen, sondern auch andere Sichtweisen zu erfahren. Max wollte wissen, wie Autor und Zeitzeugen persönlich von der Allmacht der Stasi betroffen waren. Hier erzählte Mathias Wienecke, mit welcher Angst er vor Jahren dem Blick in seine Stasiakte entgegen sah. "Wer hat mich bespitzelt, eher ferne Bekannte oder gute Freunde? Vor dieser Antwort war mir bang." Er berichtete auch darüber, wie er schon als 15-Jähriger mit der Staatsmacht kollidierte. Obwohl kein Mitglied der FDJ-Jugendorganisation, hatte er es geschafft, zum Abi an die Arnoldischule zu kommen. Auch dort verpflichtete sich die Schulleitung im Vorfeld des VIII. Parteitages der SED zu besonderen Taten.

Für die Arnoldischüler hieß das konkret: 10 Prozent aller männlichen Schüler verpflichten sich als Berufssoldaten, die restlichen 90 Prozent immerhin noch für den dreijährigen Armeedienst. Wienecke lehnte das ab, auch dann noch als er im Direktorenzimmer nach allen Regeln der Kunst "überzeugt" werden sollte. Die Reaktion kam prompt: Der 15-Jährige wurde wegen seiner vier in Russisch von der Schule verwiesen. "Mir wurde vorgeworfen, wer die Sprache nicht mit Begeisterung lernt, ist ein Feind der Sowjetunion."

Schulleiter Festag konnte dazu ergänzen, dass die damalige Kreisschulrätin einmal vor den Direktoren der Schulen im Kreis Gotha formuliert hatte, dass sie die Qualität einer Bildungseinrichtung nicht nach der Anzahl guter Schüler beurteile, sondern nach der Anzahl der Bewerber, die für eine militärische Laufbahn gewonnen wurden.

Tenor bei der Gesprächsrunde war außerdem, dass auch die heutige Generation in einer Zeit lebt, die Veränderungen braucht. Das gehe heute ebenso wenig ohne Engagement wie vor 25 Jahren, sind sich die Schüler einig. Aber niemand braucht Angst zu haben, für seine Überzeugung eingesperrt zu werden oder andere Repressalien ertragen zu müssen.

Das Theaterstück ist übrigens für die Schulen kostenfrei, weil das Bundesprogramm "Toleranz fördern, Kompetenz stärken" die Finanzierung übernommen hat.

Aus dem Gästebuch des
Stellwerk-Theaters Weimar
vom 24. Febr. 2012


Spannender Monolog

Sozialkunde - "Wie viel mensch ...?"

Ereignisse der Friedlichen Revolution für Schüler erlebbar gemacht!



Am 26. November 2009 haben Schülerinnen und Schüler der neunten bis elften Klassen die Freude, eine Vorstellung des Ein-Personen-Schauspiels ,,Wie viel Mensch “ miterleben zu dürfen. Das Theaterstück wird in der großen Aula im Rahmen einer Schultournee aufgeführt. Ein gelungenes Bühnenbild versetzt uns in die Zeit vor 20 Jahren: ein Sessel, ein Schreibtisch mit Schreibmaschine, ein Fenster, daneben ein Kalender, auf dem alle wichtigen Stationen des Jahres 1989 dargestellt werden, Stern-Radio, Plattenspieler – alles „Made in GDR“.



Das Ganze beginnt damit, dass ,,Micha“, die Figur des Monologs, auf die Bühne stürmt und das verdatterte Publikum mit seiner Situation konfrontiert. Seine Schwester ist in den Westen abgehauen und hat den armen Bruder allein zurück gelassen. Erst ist er aufgebracht und niedergeschlagen, dann aber wieder glücklich und stolz auf seine Schwester, die es ,,rüber“ geschafft hat. Diese ganzen Gefühle werden von Micha in Briefform gegossen und dem Publikum temperamentvoll nahegebracht. Im Verlauf des Stücks rennt Micha, dargestellt von Martin Bertram, immer wieder auf die Bühne, lässt sich in seinen Sessel fallen, reißt Kalenderblätter ab, haut auf seine Schreibmaschine ein und überschüttet den Zuschauer mit Impressionen aus dem historischen Jahr 1989. Der gesamte Monolog endet mit den revolutionären, damals sehr nötigen Veränderungen, die Gotha, als damalige "Ossi-Stadt", durchlebt.

 

Anschließend gibt es noch ein Podiumsgespräch mit verschiedenen Zeitzeugen. Zu ihnen gehört Matthias Wienecke, der Verfasser des Stücks. Wenn man ihn anhört, so ist jeder der Zuschauer schnell davon überzeugt, dass hier ein emotionaler Künstler ein eindringlich wirksames emotionales Werk geschaffen hat. Die eigenen Erfahrungen des Autors als Schüler der Arnoldischule lassen zudem erkennen, wie hier seinerzeit eine Diktatur einen Lebenslauf negativ beeinflusst hat. Etwas unpassend war aus meiner Sicht, dass der Darsteller des Micha nach dem letztem Umziehen nach vorn zu den Zeitzeugen gesetzt wurde, obwohl er schwerlich als solcher dienen kann, da er in besagtem Jahr noch sehr jung gewesen ist.



Vom Stück sind alle Zuschauer sehr beeindruckt. Neben dem Hauptdarsteller hat auch der Erfurter Regisseur Christian Weiß alias C.W. Olafson gute Arbeit geleistet. Beim Zeitzeugengespräch scheiden sich hingegen die Geister in der Einschätzung. Die einen lauschen gebannt und interessiert, sie können auch die eine oder andere langatmige Phase gut verkraften. Für andere ist die Form der Podiumsdiskussion vielleicht nicht ganz das Richtige. In kleinerem Rahmen kann man vielleicht etwas genauer auf unterschiedliches Vorwissen und unterschiedliche Bedürfnisse der Schüler eingehen.

Dennoch kann ich ein sehr positives Fazit ziehen: Das war ein gelungener Tag.                                               Justus Siebert, Klasse 9/1

auf der HP desArnoldigymnasiumsund Thüringer Allgemeine von 18.12.09



PREMIERE:  05. Nov. 09, Bügersaal Rathaus


Ein Gefühl von Freiheit wird laut


"Wie viel Mensch...?" Antwort darauf will Mathias Wieneckes Stück über das Jahr 1989 geben. Martin Bertram spielt darin den "Micha"zwischen Aufbruch und Unge- wissheit.
Foto: Fischer
Gotha. (tlz) "Die Grenze ist auf. Ist das nicht wunderbar!" Euphorisch reagiert "Micha" auf den Mauerfall. Doch im gleichen Atemzug hinterfragt er kritisch: "Werden die Leute begreifen, dass das ein erster Schritt auf einem langen Weg ist." Das ist Weitsicht gepaart mit dem Abstand von 20 Jahren. Eine Rückschau auf das, was sich damals zwischen Ahlbeck und Zittau bewegte, bietet das Stück des Gothaers Mathias Wienecke "Wie viel Mensch...? Gedanken und Briefe aus dem Jahr 1989". Im Bürgersaal des Gothaer Rathauses erlebt es seine gelungene Uraufführung. In dem vom Erfurter C.W.Olafson inszenierten Ein-Personen-Stück übernahm der Weimarer Schauspieler Martin Bertram die Rolle des "Micha".

Die Figur hat autobiografische Züge. "Ich bin aber nicht Micha", betont Wienecke. Angesichts des 20. Jahrestags der friedlichen Revolution sei es ihm darum gegangen, die bewegenden Momente des Umbruchs szenisch zu fassen. Schnell kamen die Erinnerungen und Eindrücke jener ereignisreichen Wochen und Monate wieder in ihm hoch, wo sich fast tagtäglich etwas veränderte, das alte System zu bröckeln begann und sich neue Möglichkeit anbahnten. Gleichzeitig bestanden die Bedrohungen der alten SED-Staatsmacht. In dieses Spannungsfeld stellt Wienecke seinen "Micha". Die Schwester ist im Westen geblieben, er will im Arbeitskreis die Verhältnisse im Osten verändern. In Briefen und Monologen führt er den Zuschauer in eine von Ängsten wie Hoffnungen geprägte Welt. Persönliches wie politische Ereignisse, auch die in Gotha, klingen an. Ein Kalender mit Eckdaten des Wende-Jahrs fixiert den Fortgang der Handlung: Kommunalwahl, erste Demo in Gotha, Schabowskis Stammeln von Grenzöffnung... - "Micha" zwischen Aufbruchstimmung und Ungewissheit.

Das aufkommende Gefühl der Freiheit will Wienecke nachzeichnen. Das, was kein Geschichtsunterricht mit bloßen Fakten vermitteln kann. Vor diesem Hintergrund habe er das Stück verfasst. In Schulen möchte er es aufführen. Die Heranwachsenden sollen nachempfinden, welche Gefühle vor 20 Jahren die Menschen im Zuge der friedlichen Revolution bewegten.

06.11.2009   Von Wieland Fischer 


 

Die Premieren-Ankündigung in der Thüringer Allgemeinen vom 9.10.09





Thüringer Landeszeitung vom 12.Okt.09:

Wie viel Mensch...


Mathias Wienecke nahm beim Runden Tisch im Herbst 1989 in Gotha teil. Foto: Archiv

Gotha. (tlz) Seine Erinnerungen an den Herbst 1989 hat der Gothaer Mathias Wienecke in zahlreichen Briefen festgehalten, die nun in einem Theaterstück einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Seit zwei Wochen laufen die Proben für "Wie viel mensch...?", einem Projekt seiner Theatergruppe "mystery message" der Evangelischen Kirchgemeinde Gotha-Siebleben. In knapp drei Wochen, am 5. November, soll das Stück im Bürgersaal des Gothaer Rathauses uraufgeführt werden.

Gerade jetzt, wo sich viele Menschen an die friedliche Revolution vor 20 Jahren erinnern, kommen auch bei Mathias Wienecke die Erinnerungen hoch. "Diese Zeit habe ich intensiv miterlebt und mitgestaltet", sagt Wienecke. Viele Dinge in den insgesamt elf Briefen spiegeln seine persönliche Geschichte wider. Allerdings sei es keine Biografie, die schauspielerisch umgesetzt werden soll. Wienecke: Es sind politische Situationen aus jener Zeit und persönliche Ereignisse, die von mir niedergeschrieben worden sind.

In Zusammenarbeit mit dem Erfurter Regisseur Christian Weiß alias C.W. Olafson wurde aus den Briefvorlagen ein Ein-Personen-Stück umgesetzt. In die Rolle der Hauptfigur "Micha" schlüpft der 27-jährige Weimarer Martin Bertram. Der Jungschauspieler hatte nach dem Abitur entdeckt, dass sein Herz für die Schauspielkunst schlägt. 2002 im Theater-Jugendclub am Weimarer Nationaltheater begonnen, wechselte er danach ans Stellwerk Weimar, wo er derzeit in der Rolle des Iffland in "Schiller, ist er des Wahnsinns oder die wilden Jahre" auf der Bühne steht. Seit 2005 arbeitet Bertram mit verschiedenen Regisseuren, unter anderem auch Olafson, zusammen.

Für den 27-Jährigen stellt das Stück eine Herausforderung dar. "Ich selbst habe die Wendezeit als Kind miterlebt und damals nicht alles verstanden", erklärt Martin Bertram. Deshalb seien für ihn die Briefe interessant und spannend zugleich, erzählen sie doch die Geschichte von April bis Dezember 1989 aus der Sicht eines Zeitzeugen. "Ich muss zunächst die Texte erfassen, um viele Infos darin unterzubringen", schildert der Weimarer Schauspieler seinen Part bei dem Theaterstück. In dem Stück verkörpert er die fiktive Figur Micha, der 1989 Briefe an Verwandte und Freunde schreibt. Daraus entstanden ist ein authentisches Bild von einem Menschen, der an den Veränderungen aktiv beteiligt ist. So wird von Hoffnung und Ärger, aber auch Freud und Leid erzählt, als Micha über seine Schwester trauert, weil die in den Westen abgehauen ist. Doch freut er sich ungemein, als er einen alten Trabi kauft. Geärgert hat sich Micha über die ständigen Überwachungen der Stasi und den Wahlbetrug 1989. Das Publikum lässt Micha teilhaben an seinen Träumen über die Bürgerbewegungen.

Zeitzeugen vor Ort

In dem Theaterstück wurde aber bewusst nicht nur aus der Sicht eines Einzelnen auf die politischen Ereignisse in Gotha eingegangen. Wienecke: "Da sind vor allem die Friedensgebete, an die ich mich noch gut erinnern kann." Aber auch die ersten Demonstrationen in der 18.-März-Straße und auf dem Hauptmarkt oder die Besetzung der Stasi-Kreisstelle spielen eine große Rolle. "Wir wollen nach der Uraufführung mit unserem Stück durch die Schulen im Landkreis touren", erklärt Initiator Mathias Wienecke. Dabei will der Sozialpädagoge und Lehrer an der Berufsbildenden Schule mit den Schülern ins Gespräch kommen. "Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche über die Wendezeit Bescheid wissen." Unterstützung sollen dabei auch Zeitzeugen bieten, die bei den Schulaufführungen vor Ort sein werden.

12.10.2009 Von Conny Möller